Leseprobe: Deep Dark Academia

spannungsgeladene und heiße Dark Romance

Prolog

Ich hatte schon oft darüber nachgedacht, wie es sein würde, zu sterben. Heute war es so weit. Ich würde es wissen.
Warmes Blut strömte über meine Innenschenkel, fand sich zu zähen, dickflüssigen Tropfen zusammen, die sich auf den Fliesen als immer größer werdende Lache sammelten. Das Brennen jedes einzelnen Schnitts linderte den Schmerz in mir und ich legte den Kopf gegen den kühlenden Badewannenrand, schloss die Augen. Fühlte. Gab mich ganz dem Gefühl hin. Mein Herz schlug ruhig und beständig gegen meinen Brustkorb. Wie würde es sich anfühlen, wenn es immer langsamer würde? Wenn es stehenblieb? Ich empfand keine Angst. Nur Glück. Nur Erleichterung. Es war ein bisschen so, als wäre ich high, high von dem heranrauschenden Tod.
Meine Lider wurden schwerer, kämpften flatternd gegen das Brennen an, während Tränen der Erlösung meine Wangen hinunterliefen. Der Schmerz verblasste, lichtete sich wie ein schwerer Vorhang, dessen Gewicht mich mein gesamtes Leben nach unten gedrückt hatte. Meine Finger öffneten sich kraftlos und ich hörte das leise Klirren, als die Rasierklinge auf den blutigen Badezimmerboden fiel. Nur noch kurz, nur noch kurz und ich hätte es geschafft. Geschafft.
Mein Kopf kippte zur Seite. Meine Atmung wurde noch langsamer, setzte einige Züge aus. Plötzlich hörte ich einen Schlag. Einen weiteren. Jemand hämmerte gegen die Tür, bis es so klang, als würde das Holz zersplittern. Oder tat es das sogar wirklich? Ich vernahm eine verzerrte Stimme voller Schmerz. Schmerz? Das konnte nicht sein, niemand interessierte sich für mich. Doch jemand schrie meinen Namen. Ich versuchte, die Augen zu öffnen, Schwindel setzte ein, mein Sichtfeld verschwamm vor meinem Blick, das Leben wich aus meinem Körper. Alles wurde schwerer, verlangsamte sich. Die Tür flog auf, knallte gegen die geflieste Wand. Mein Bewusstsein fühlte sich an, als hätte es jemand in Watte gepackt. Wohltuenende Dunkelheit nahm mich an der Hand und zog mich lächelnd mit sich. Ich hatte gewusst, dass mich der Teufel mitnehmen würde, aber wieso sah ich jetzt, als ich starb, ihre Gesichter? Ich driftete weg. »Endlich«, war mein letzter Gedanke.
Plötzlich wurde ich hochgehoben. Starke Arme umfassten mich und ich hörte die letzten Worte, ehe die Schwärze mich umhüllte wie eine wärmende Decke.
»Bleib wach, Elodie! Fuck! Bleib wach!«

1

Elodie

Das Klackern meiner Pumps hallte auf dem Echtholzparkett durch die Flure der Ashford University. Die bleiverglasten Fenster tauchten das Innere selbst mitten am helllichten Tag in ein mysteriöses Zwielicht. Die Wände waren mit dunklen Holzpaneelen oder smaragdgrünen Tapeten verziert, in unregelmäßigen Abständen hingen dort alte Gemälde in schweren, goldenen Rahmen. Fratzen starrten mir aus ihnen entgegen, anklagende, ernste Porträts fremder Menschen, die irgendwann einmal hier gelebt hatten. Ich versuchte, sie nicht anzusehen, denn sie schickten jedes Mal eine Gänsehaut über meinen Körper.
Hier in diesem Gebäudeteil kamen mir kaum Menschen entgegen, zumindest keine Studenten, denn so weit ich wusste, befanden sich hier nur ein paar Forschungsräume und das Büro eines einzigen Dozenten, der kein Problem damit hatte, wenn er sich in einer der dunkelsten Ecken der gesamten Universität befand. Und das hieß nicht, dass die anderen Gebäude weniger düster und unheilvoll wirkten. Die Ashford University war eine beeindruckende Ansammlung von gotischen Strukturen, die sich aus dunklem, fast schwarzem Stein erhoben. Spitzbogenfenster, kunstvoll verziert mit filigranen Steinmetzarbeiten, durchzogen die Fassade, während hohe Türme und spitze Giebel sich dramatisch gegen den oft nebelverhangenen Himmel abzeichneten. Große, hölzerne Türen, beschlagen mit Eisen und gealtert durch die Jahrhunderte, wirkten alles andere als einladend. Umgeben von einem finsteren Wald mit alten Eichen und knorrigen Bäumen krochen fast jeden Tag selbst im Sommer Nebelschwaden über den Campus. Es hatte eine Zeit gegeben, in der ich mich hier zu Hause gefühlt hatte. Vielleicht weil die Dunkelheit mich mein gesamtes Leben begleitet hatte und man irgendwann unweigerlich selbst zu dieser wurde.
Ich lenkte meine Gedanken in eine andere Richtung und zog mein Smartphone aus der Tasche meiner Stoffhose. In zwei Minuten wäre mein Vorstellungsgespräch bei Dr. Caspian Vale für eine Stelle als Assistentin an seiner Seite, bei dem ich nicht zu spät kommen durfte. Denn der Literaturdozent war bekannt dafür, nicht gerade einfach im Umgang oder unnachgiebig als Boss zu sein, aber zum einen brachte es mir ein paar Bonuspunkte für mein Literaturstudium ein, nachdem ich mein Journalismusstudium vor einem Jahr abgebrochen hatte und zum anderen … Erfuhr ich so mehr über ihn, außer die bekannten Details.
Caspian Vale, einunddreißig, Doktor der Philosophie, höllisch attraktiv, geheimnisvoll, intelligent, herrisch.
Die Spur, die ich verfolgte, führte mich immer wieder zu ihm, und auch wenn ich das Gefühl hatte, mich kopfüber in die Höhle eines gefährlichen Raubtiers zu stürzen, musste ich es tun. Das Schicksal ließ mir gar keine andere Wahl.
Ich blieb vor der massiven Eichenholztür stehen, an der sein silbernes Namensschild prangte, zog meinen dunkelbraunen Zopf straff, strich meine weiße Bluse glatt und öffnete einen Knopf meines Ausschnitts. Männer waren simpel gestrickt und Dr. Vale konnte noch so intelligent sein, sein Schwanz funktionierte wie der aller Kerle. Wieso also nicht diesen Bonus meiner üppigen Oberweite nutzen, wenn es mich meinem Ziel ein Stück näherbrachte? Mein Outfit bestehend aus hohen Schuhen, einer engen schwarzen Stoffhose und der Bluse schrie förmlich nach Aufmerksamkeit. Nicht mein übliches Outfit, denn eigentlich bevorzugte ich legere Kleidung, doch ich musste diesen Job bekommen und würde so gut wie alle Register dafür ziehen.
Plötzlich öffnete sich ohne Vorwarnung die Tür und ich geriet für einen Moment ins Straucheln. Tannengrüne Augen schauten mich zuerst überrascht an, dann erschien ein interessiertes Funkeln in ihnen. »Hey«, raunte der Mann vor mir mit rauer, dunkler Stimme, die mir sofort eine Gänsehaut über den Körper schickte. Das war definitiv nicht Dr. Vale. Fast zwei Meter groß, breite Oberarme, die komplett tätowiert waren und ein schwarzes T-Shirt, das seinen trainierten Oberkörper ganz besonders gut betonte. Dunkelbraunes, zerzaustes Haar und verdammt … sein Gesicht war die pure Sünde, auch wenn eine verblasste Narbe seine rechte Augenbraue teilte und sich bis über seine Schläfe zog und der Rest eines Veilchens das dunkle Grün seiner Augen betonte. Er versprühte diese animalische Anziehungskraft eines Bad Boys wie er im Buche stand. Er hatte definitiv kein Problem damit, mir direkt in meinen Ausschnitt zu schauen, was ihm ziemlich gut gelang, denn ich war mindestens anderthalb Köpfe trotz meiner hohen Schuhe kleiner. Ich brauchte einen Moment, ehe ich meine Überraschung verbergen konnte.
»Finden Sie, was Sie suchen, oder soll ich noch einen Augenblick warten?«, entwich mir und der Blick des Fremden ruckte nach oben. Amüsiert grinste er mich an.
»Wenn du so fragst, könntest du gerne noch einen weiteren Knopf deiner Bluse …«
»Nero!«, bellte jemand hinter ihm aus dem Raum, doch anstatt dass dieser Nero zusammenzuckte, wurde sein Grinsen nur noch größer. Er lehnte sich leicht zu mir herunter und leckte sich kurz über die Unterlippe, was Hitze in mir aufflammen ließ. »Spielverderber«, wisperte er und ich verkniff mir ein Lachen. Immer noch verdeckte er den ganzen Türrahmen und es gab kein Vorbeikommen für mich. Für einen Atemzug verlor ich mich in dem Sturm seiner Augen, die mich unaufhaltsam gefangen hielten, als hätte er rein gar kein Problem mit intensivem Augenkontakt. Mich machte er langsam aber sicher nervös. Irgendwas hatte er, dass nach Ärger schrie, laut und deutlich.
Ein Räuspern erklang hinter ihm.
Nero schmunzelte wölfisch. »Vielleicht bis bald.«
Er zwinkerte mir zu und trat einen Schritt zur Seite, wodurch er mir noch näher kam und ich den herben Duft seines Parfüms riechen konnte. Wir standen so dicht nebeneinander, dass wir uns fast streiften, und mein Herz schlug hart gegen meinen Brustkorb. »Dankeschön«, erwiderte ich reserviert.
»Immer gern«, sagte er und lief an mir vorbei. Als ich den Blick nach vorne richtete, musste ich das zweite Mal am heutigen Tag schlucken.
Dr. Vale saß hinter seinem massiven Eichenholzschreibtisch und hatte die Hände auf der Tischplatte verschränkt, als würde ihm das College gehören. Oder eher die gesamte, abgefuckte Welt. Das Büro war genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Auf der rechten Seite gab es ein massives Bücherregal, das vom Boden bis zur Decke reichte. Schwere, dunkelgrüne Gardinen hingen neben den Rundbogenfenstern, durch deren verziertes Glas nur wenig Licht in den Raum eindrang. Auf der linken Seite befand sich eine weitere Tür, eine Sitzecke aus dunkelbraunem Leder und in der Mitte thronte er. Dr. Caspian Vale, der mich nun mit kühlem, anklagenden Blick musterte. Er trug ein weißes Hemd und eine schwarze Weste darüber, die seinen breiten Oberkörper betonte. Gott, ich konnte verstehen, wieso so viele, sogar einige Dozentinnen, auf ihn standen und ihn aus der Ferne anhimmelten. Sein rabenschwarzes Haar war perfekt gestylt, der komplette Kontrast zu der Frisur des Mannes gerade eben, die aussah, als wäre eine Frau mit ihren Händen hindurchgefahren. Bei Dr. Vale war kein Haar aus dem Takt geraten, als widersprach nichts und niemand seinem Befehl.
»Sind Sie nun fertig mit ihrem Flirt vor meinen Augen, Miss Thorn?«
Fuck. Auch wenn das neue Studienjahr erst vor zwei Wochen begonnen hatte, ich Dr. Vale erst zweimal in seinen Kursen begegnet war und mich online um die Stelle beworben hatte, kannte er mich natürlich. Allein schon aufgrund des Bildes auf meinen Bewerbungsunterlagen. Ich straffte die Schultern, das war ja ein großartiger Einstieg für das Gespräch. Allerdings wusste ich, dass sein Verschleiß von studentischen Assistentinnen so hoch war, dass diesen Job fast niemand mehr machen wollte. Nur Verrückte oder Leichtsinnige würden sich seinem offenen Messer liefern und ich war wahrscheinlich etwas von beidem. Vor allem aber hatte ich nichts zu verlieren.
»Wollen Sie noch etwas länger dort stehen und mein Büro betrachten, oder kommen Sie endlich herein?« Seine Stimme war dominant und herrisch, Ungeduld schwang darin mit.
»Natürlich … entschuldigung«, erwiderte ich zurückhaltend, schloss die Tür hinter mir und lief auf ihn zu wie ein Lamm auf dem Weg zur Schlachtbank. Sein Blick hing fest auf mir und ließ mich keine Sekunde aus den Augen, als müsste er meine wahren Beweggründe abschätzen. Kurz hatte ich das Gefühl, er durchschaute mich wie dünnes Glas und wollte die ganze Sache hier auf der Stelle abbrechen.
»Setzen Sie sich jetzt endlich«, sagte er ungehalten und nickte zu dem freien Stuhl. »Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«
Normalerweise war ich ganz und gar niemand, der sich rumschubsen ließ, dafür hatte ich zu viel in meiner Vergangenheit erlebt, doch ich war abhängig von diesem Job und wenn das bedeutete, dass ich mich nur einige Minuten zusammenreißen musste, dann sollte es so sein.
Endlich wandte er den Blick ab und blätterte in meinen Bewerbungsunterlagen, die er sich offensichtlich ausgedruckt hatte. »Wieso haben Sie das Journalismusstudium abgebrochen?«, kam er direkt zum Punkt ohne große Floskeln.
Ich spürte, wie meine Kehle sich zuschnürte und der Drang in mir erwachte, die Fingernägel in meine Handflächen zu bohren. Wenigstens ein bisschen Schmerz, der mir Linderung versprach. Ich kämpfte dagegen an und gewann. Diesmal.
»Ich habe gemerkt, dass dieser Weg doch nichts für mich ist und ich mehr Interesse an Literatur habe.«
Er hob eine Augenbraue und sah auf. Gott, seine Hände waren so groß und kräftig, dass sie sich locker hätten um meine komplette Kehle legen können. Ich presste die Oberschenkel zusammen, um dem Gefühl entgegenzuwirken, spürte das leichte Ziepen auf meiner Haut, das mich zurück ins Hier und Jetzt brachte.
Er bedachte mich mit einem Blick, bei dem ich gleich wusste, dass er mir meine Lüge nicht abnahm. »Und wieso haben Sie Ihr Studium danach ein Jahr pausiert?«
»Persönliche Gründe«, erwiderte ich schnell und hörte selbst das Krächzen in meiner schwachen Stimme.
»Hm«, murmelte er und blätterte weiter. »Ihre Noten sind akzeptabel …«, sagte er und ich musste fast auflachen. Ein Vorteil, wenig Freunde zu haben, war es, dass einem viel Zeit zum Lernen blieb. Meine Noten waren besser als nur akzeptabel. »Keine sportlichen Interessen?«, fragte er mich weiter aus.
»Ich wüsste nicht, was das mit einem Job in Ihrem Bereich zu tun hat.«
»Disziplin zieht sich durch viele Bereiche. Oder sehen Sie das anders?«, fragte er und ich wusste nicht, ob ich es mir einbildete, aber wurde seine Stimme ein wenig rauer? »Haben Sie Disziplin, Miss Thorn?«
Wieso hatte ich den Eindruck, er spielte nicht auf meine schulischen Leistungen an? Aber das musste ich mir einbilden, denn auch wenn viele auf ihn standen, hatte es noch nie einen Skandal um ihn und eine Studentin gegeben. Im Gegensatz zu einigen anderen Dozenten an diesem College. Aber eventuell konnte er diesen Part seines Lebens nur ziemlich gut verstecken. Er schien mir nicht wie der Typ Mann, der mit seinen Eroberungen prahlte. Vielleicht war er sogar verheiratet. Aber er trug keinen Ring.
»Selbstverständlich …«, erwiderte ich schnell und leckte mir kurz über die Lippen. »Sir«, schob ich nach und sah, wie der Muskel an seinem Kiefer sich anspannte. Okay, das war ein billiger Trick, aber anscheinend funktionierte er. Zumindest hatte ich ihm eine Regung entlockt, besser als diese abweisende Kühle, die ihn sonst umgab.
Er atmete tief ein und aus, die Spannung im Raum war fast greifbar. Plötzlich klappte er meine Unterlagen zu und schmiss sie in den Papierkorb unter seinem Schreibtisch. Die Zeit schien stillzustehen und mit wildklopfendem Herzen beobachtete ich, wie er sich von mir abwandte, als wäre ich nicht mehr eine einzige Minute seiner Zeit wert.
»Danke für Ihr Kommen, aber ich denke nicht, dass das funktionieren wird. Wir sehen uns beim Unterricht, einen schönen Tag. Selbstverständlich wird dieses Gespräch keinen Einfluss auf Ihre Noten in meinem Kurs haben.«
Verblüfft saß ich immer noch an Ort und Stelle, meine Finger verkrampften sich. Nein, nein, neinneinneinnein!
»Aber …«, begann ich, wusste jedoch nicht so recht, mit welchem Argument ich ihn umstimmen konnte. Mein Hirn war wie leergefegt.
Er drehte sich wieder mir zu, betrachtete mich einige endlose Sekunden und stand schließlich auf. Wie ein Raubtier umrundete er den Schreibtisch und kam auf mich zu. Verdammt. Mir entglitt die Situation und es fühlte sich so an, als hätte ich nie die Macht darüber besessen.
Langsam lehnte er sich zu mir herunter, drehte den massiven Stuhl mit Leichtigkeit zu sich und legte die Hände auf die Lehnen. Hatte ich gerade gedacht, die Spannung wäre greifbar, dann hatte ich mich sowas von getäuscht. Ich drückte mich gegen die Rückenlehne, um seiner intensiven Nähe zu entkommen. Was mehr als zwecklos war. Sie war überall.
»Ich habe nicht den Eindruck, dass Sie wirklich aufgrund eines Jobs hier bei mir sind, Miss Thorn«, wisperte er und ich musste schlucken. War das ein Test?
»Doch, natürlich!«, widersprach ich und seine Brauen zogen sich leicht zusammen, als könnte er so besser aus mir lesen. Jeder Zentimeter meines Körpers war überreizt und angespannt.
»Läuft da eine Wette zwischen Ihnen und einer anderen Studentin? Wollen Sie damit angeben, einen Dozenten um den Finger gewickelt zu haben?«
»Nein, Dr. Vale, das … ist das Letzte was ich vorhabe«, flüsterte ich gleichzeitig voller Panik und … erregt.
»Wieso dann die Zweideutigkeiten? Die halboffene Bluse? Ist das Ihre Art von professionellem Auftreten?«, tadelte er mich wie ein kleines Mädchen. Sein Blick hatte nicht einmal meine Augen verlassen, nicht wie bei dem Mann vorhin, trotzdem hatte er meinen Versuch mit meinem Aufzug bemerkt. Er kam noch näher, ich spürte die Wärme seines Atems auf meiner Haut. »Ich brauche jemand, der qualifiziert ist, diszipliniert, zielgerichtet und …« Er hielt kurz inne. »Bereit, meinen Anweisungen ohne Nachfragen zu folgen.« Plötzlich war der Bann zwischen uns gebrochen. Er richtete sich auf und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich denke nicht, dass ich so jemanden vor mir sitzen habe.«
Meine Fingernägel bohrten sich jetzt doch tief in meine Handflächen, bis sich kleine rote Male bildeten. Er stand so mächtig über mir, dass ich das Gefühl hatte, keine Luft mehr zu bekommen. Dabei hatte ich mir einmal geschworen, mich niemals mehr so hilflos zu fühlen. Niemals mehr.
Ich stand auf, schob dabei den Stuhl schabend ein Stück zurück, hob trotzig das Kinn und hielt seinen festen Blick. »Meine Noten sind mehr als nur akzeptabel, vor meiner Auszeit habe ich mich an diversen außerschulischen Aktivitäten beteiligt, ich bin gewissenhaft, verantwortungsbewusst und lasse mich ganz bestimmt nicht auf so etwas Primitives wie eine Wette ein, wer einen Dozenten verführen kann! Das habe ich für meinen Abschluss überhaupt nicht nötig. Aber was ich sehr wohl nötig habe ist ein Job, der mich voranbringt und bei dem es eine ansprechende Bezahlung für meinen Lebensunterhalt gibt. Denn anders als andere der Studierenden hier habe ich keine Familie als Rückhalt. Ich musste mein gesamtes Leben für alles kämpfen, also sagen Sie mir nicht, ich wäre nicht diszipliniert! Und wenn das ein verdammter Test ist, wie sehr ich für diese Stelle kämpfe, stelle ich mich hier hin und sage, dass ich bereit bin, viel zu geben. Ich habe kein Problem damit, Abends oder an Wochenenden zu arbeiten und kann Ihnen mit reinem Gewissen sagen …« Ich trat noch einen Schritt auf ihn zu. Auch wenn er kein winziges Bisschen zurückwich und sein Blick weiterhin eisern blieb, ließ ich mich nicht beirren. Ich musste den Kopf in den Nacken legen, denn er war fast genauso groß wie dieser Nero. »Dass ich die beste Kandidatin bin, die Sie für diesen Job finden können.«
Meine Brust bebte und ich hatte das Gefühl, einen Marathon hinter mir zu haben. Hatte meine kleine Rede etwas bewirkt? Sein Gesichtsausdruck war kalt wie unbezähmbares Eis, als er sich löste, hinter seinen Schreibtisch ging und sich setzte.
»Sie müssen unbedingt Ihre Emotionen in den Griff kriegen«, sagte er unbeeindruckt und missbilligend. »Diese haben hier keinen Platz.« Ich war kurz davor, ihm meinen Mittelfinger zu zeigen und ihm damit zu antworten, was ich von ihm und seiner Aussage hielt. Mit Autoritätspersonen hatte ich schon immer meine Probleme gehabt und er war das Paradebeispiel eines Arschlochs, dass seine Position ausnutzte.
»Seien Sie morgen nach Ihrer letzten Vorlesung pünktlich hier, damit ich sie anlernen kann.« Er wandte sich seinem Computer zu und begann, irgendetwas zu schreiben. Als ich mich immer noch nicht rührte, seufzte er. »Was ist denn noch?«
»Also hab ich den Job?«
»Ihre Noten deuteten darauf hin, intelligent zu sein.« Großer Gott, dieser Mann würde eine ziemliche Herausforderung für meine Beherrschung sein. »Auf Probe. Und jetzt wäre es mir sehr recht, wenn Sie mein Büro verlassen, damit ich mich auf meine nächste Vorlesung vorbereiten kann.«
Bevor das Glück mich doch noch verließ, riss ich mich aus meiner Starre. »Danke, Dr. Vale, Sie werden es nicht bereuen«, sagte ich mit einem angespannten Lächeln, wandte mich ab und stürmte aus dem Raum, ehe er es sich doch noch anders überlegte oder er dahinterkam, dass dies der Anfang von seinem Ende sein würde. Oh, er würde es bereuen. Und zwar so sehr, wie es mir möglich war.

2

Elodie

Tief durchatmend trat ich aus dem Gebäudeteil hinaus an die frische Luft und betrat den Campus. Das Einzige, das ich wollte, war nach Hause zu gehen, mir vielleicht ein Glas Wein zu gönnen und dann zu schlafen.
Die Begegnung mit Dr. Vale war unerwartet intensiv gewesen. Und irgendwie fiel es mir schwer, meine Gedanken auf etwas anderes umzulenken als auf das, was gerade passiert war. Aber ich hatte den Job, das war ein großer Schritt in die richtige Richtung.
Am Nachmittag tummelten sich nicht mehr viele Studenten und Studentinnen auf dem Campus, die meisten waren wohl in ihren Wohnheimen oder in den Häusern der Studentenverbindungen, um den Abend zu feiern. War man deshalb nicht auf dem College? Um Erfahrungen für den Rest seines Lebens zu sammeln? Das hatte schließlich auch einmal auf mich zugetroffen. Bevor einfach alles passiert war.
»Thorn! Hey!« Dylan erschien vor mir, schweratmend, als hätte er einen Marathon hinter sich, dabei sollte er als aktives Mitglied des Hockeyteams ziemlich gut trainiert sein. Es wunderte mich überhaupt, dass er alleine unterwegs war und mich so offensichtlich auf dem Campus ansprach. Denn den Jungs aus dem Team konnte ich nicht gerade viel abgewinnen und sie mir ebenfalls nicht, das war kein Geheimnis. Sie rissen geschmacklose, meist frauenfeindliche Witze und tarnten es als Spaß, dazu brüsteten sie sich, wer die meisten Mädchen an einem Abend abgeschleppt hatte. Wow. Ich wunderte mich nicht, wieso mich die meisten Jungs in meinem Alter rein gar nicht interessierten.
Es hatte eine Zeit gegeben, in der ich so getan hatte, als wäre ich eine ganz normale Studentin, die Freunde hatte, auf Partys ging und eben das machte, was ganz normale Studentinnen machten. Auch wenn ich mich in Wirklichkeit lieber zu Hause eingekugelt hätte. Alleine. Mit einem Buch, einer unanständig großen Menge von Eis die Welt ausschließend. Doch selbst in der Zeit, in der ich anderen diese Fassade vorgespielt hatte, hatten sie gespürt, dass etwas mit mir nicht stimmte. Irgendwann hatten vor allem die Jungs des Hockeyteams es furchtbar witzig gefunden, mich als das seltsame Mädchen abzustempeln, das keinen von ihnen an sich heranließ und sich eher zurückzog, als mit ihnen sturzbetrunken auf irgendeiner Party rumzumachen.
Dylan trat vor mich und versperrte mir den Weg. Genervt blickte ich zu ihm auf.
»Was ist?«
»Oliver …er ….«, stotterte Dylan und zum ersten Mal wurde ich hellhörig. Selbstverständlich waren nicht alle aus ihrem Team hirnlose Idioten. Oliver war neben meiner Mitbewohnerin Cassia der Einzige, den ich annähernd als so etwas wie einen Freund bezeichnet hätte. Jemand, der mich vor seinen Teamkameraden verteidigte. Jemand, dem ich eine Chance gegeben hätte, wäre ich nicht tatsächlich das seltsame Mädchen, das alle in mir sahen.
»Du musst mitkommen!« Dylan zerrte an meinem Arm.
»Was, aber wieso? Was ist passiert?«, fragte ich und folgte ihm. Er wirkte ziemlich aufgebracht und mein Herz schlug schneller in meiner Brust. Nicht schon wieder, war das Erste, das durch meine Gedanken schoss. Nicht schon wieder so einen Moment wie der vor etwas mehr als einem Jahr, der mir nicht nur den Boden unter den Füßen weggerissen, sondern meine Seele in tausend Stücke zerfetzt hatte.
Ich folgte Dylan, der vor mir her rannte. Er steuerte das Gebäude an, in dem sich die Schwimmhalle befand und für einen kurzen Augenblick zögerte ich. Wasser und ich waren nicht unbedingt die besten Freunde.
»Komm schon! Du musst dich beeilen, Thorn!«, rief er immer wieder und drückte die breite Flügeltür auf, die in das Innere führte. Sofort schlug mir der beißende Gestank des Chlors entgegen. Wir ließen die Umkleidekabinen hinter uns und betraten die Schwimmhalle. Ich musste mich zuerst an die Lichtverhältnisse gewöhnen, das Wasser im Pool plätscherte beständig durch die Filteranlage, die kleine Wellen auf der Oberfläche verursachte.
»Wo ist Oliver jetzt?«, fragte ich und meine Stimme hallte von den gefliesten Wänden wider. Gänsehaut zog sich über meinen Körper.
Dylan griff plötzlich nach meinem Oberarm und drehte mich grob zu ihm herum. Sein Gesicht war nur noch eine Fratze, die mich böse anlächelte. Und ich wusste, ich war mal wieder in die Falle getappt, die sie mir gestellt hatten.
Vier andere aus dem Team tauchten aus den Türen der Umkleidekabine auf, ich erkannte einige von ihnen und taumelte einen Schritt zurück, als Dylan mich losließ.
»Wir wollen gar nicht viel von dir, Freak«, sagte Dylan und lachte.
»Fickt euch, was soll die Scheiße!«, versuchte ich ihnen standzuhalten. Mein Blick ruckte zu der Tür direkt neben mir. Ich könnte es schaffen, wären diese verdammt rutschigen Pumps an meinen Füßen nicht. Mein Körper war gespannt wie eine Saite.
Sie liefen weiter auf mich zu, drängten mich ein Stück zurück, für einen Augenblick verlor ich den Halt und ruderte mit den Armen, damit ich nicht in das Wasser stürzte. Mit einem flüchtigen Blick schaute ich in den tiefen Pool, der alles andere als einladend war.
»Ich kann nicht schwimmen!«, sagte ich und die anderen lachten.
»Umso besser. Wir könnten wetten, wie lange du brauchst, um abzusaufen. Oder bist du doch die Hexe, die alle in dir vermuten?«, fragte Clive, der schräg hinter Dylan stand.
Ich könnte sterben. Ich könnte mich vielleicht bis an den Rand schaffen, aber dann würden sie mich zurückstoßen. Mich untergehen lassen. Mir dabei zusehen.
»Mal ehrlich, macht es euch erbärmlichen Wichsern Spaß, zu fünft auf eine Frau loszugehen? Verleiht euch das Macht? Bekommt ihr heute Abend, wenn ihr in euren Betten liegt einen Ständer, wenn ihr daran denkt!«, schrie ich. Ich hatte genug davon, mich herumschubsen zu lassen! Genug von den letzten Monaten! Genug von meinem Leben! Vielleicht sollte ich es hier und jetzt hinter mich bringen, ertrinken wäre nicht die schlimmste Art zu sterben.
»Macht es dir etwa keinen Spaß«?, fragte Dylan und kam auf mich zu, schubste mich so fest zurück, dass ich das Gefühl hatte, all die Luft entwich meinen Lungen. Ich stolperte, hörte ihr höhnisches Lachen, während ich auf den harten Fliesen aufkam. Sofort drehte ich mich herum, doch sie kamen immer näher. Die Feuchtigkeit des Bodens durchnässte den Stoff meiner Hose an meinen Knien, ließ mich zittern.
»Du denkst also, du bist etwas Besseres, oder was Thorn?«, sagte Dylan bedrohlich leise und legte die Hand an seinen Gürtel. Ich rutschte zurück, wollte aufstehen, doch meine Beine gaben unter mir nach. »Bist zu gut für uns …«
Plötzlich ging die Tür auf und ich atmete erleichtert auf. »Was soll das?«, hörte ich die Stimme unseres Hausmeisters Mr. Grant, dessen grauer Schopf im Rahmen erschien. Die anderen wichen von mir zurück und mein Puls beruhigte sich ein bisschen, auch wenn die Furcht immer noch durch meine Venen peitschte. »Ihr wisst, dass ihr Herumtreiber hier nichts zu suchen habt! Los! Geht!«, meckerte Mr. Grant und deutete zu der Tür. Dylan und die anderen wirkten sichtlich wütend, als sie sich von mir abwanden. Wie ich sie verabscheute. Meine Finger ballten sich zu Fäusten.
»Alles okay?«, fragte Mr. Grant verständnisvoll und half mir aufzustehen. Ich richtete meine Kleidung und versuchte, mir den Schock von eben nicht anmerken zu lassen. Auf ein erneutes Gespräch mit unserer Schulpsychologin konnte ich definitiv verzichten. Auch wenn mein ganzes Leben ein einziges Durcheinander war, es mich aber nicht verwunderte, dass es täglich schlimmer wurde. »Komm, ich bring dich in dein Wohnheim«, sagte Mr. Grant, dessen Namen an dem kleinen silbernen Schildchen an seinem grauen Kittel im Licht der Lampen schimmerte. Er nickte zur Tür und ich setzte mich in Bewegung.
»Danke«, erwiderte ich leise.
»Hast du öfter Probleme mit diesen Typen?«, fragte er abschätzig, als wir raus in die Luft traten.
Ich wollte unter keinen Umständen auffallen, auch wenn ich wusste, würde ich sie jetzt anschwärzen, müssten sie definitiv bei unserem Direktor zu einem Gespräch antanzen. Aber ich ebenso.
»Ich habe kein Problem, ich bin … ausgerutscht«, erwiderte ich und spähte kurz zu Grant, der ein brummendes Geräusch von sich gab, aber das Thema dennoch auf sich beruhen ließ. Ich wusste nicht viel von unserem Hausmeister, nur dass er ein ruhiger Mann war, der sich am liebsten in der kleinen Hütte am Rande des Campus verschanzte, in der er wohnte. Und ich war ihm mehr als dankbar, dass er auch diesmal keine Lust hatte, sich in andere Angelegenheiten einzumischen, während er mich zurück in mein Wohnheim brachte.

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